Der von 1930 -1937 in Sensweiler amtierende Pfarrer Walther Disselnkötter

Ein „Gerechter unter den Völkern“

von Axel Brunk



Jeden Sonntag kam pünktlich ein Mann nach Sensweiler geritten, stieg ab, band sein Pferd an, betrat die kleine Kirche, reihte sich zwischen den Gottesdienstbesuchern auf einer der Kirchenbänke ein, schaute sich genau um, machte sich Notizen und protokollierte, was der Pfarrer von der Kanzel predigte. Es interessierte ihn aber weder die christliche Botschaft, noch eine besondere kirchliche Lehre oder gar die Auslegung des Wortes Gottes, denn er war sonntags dienstlich in dem kleinen Hunsrückort eingesetzt. Er achtete akribisch auf jedes Wort, das eventuell dem Wohl des Reiches, dem Ansehen der Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei hätte schädlich sein können. Denn somit wäre laut dem 1934 erlassenen Heimtückegesetz, der Tatbestand eines heimtückischen Angriffs auf Staat und Partei erfüllt. Der Mann, den der uniformierte Polizist observierte, war Pfarrer Walther Emil Carl Disselnkötter. Walther Disselnkötter wurde am 14.11.1903 in dem damaligen größten Weinhandelszentrum des Deutschen Kaiserreichs, Traben-Trarbach, als Sohn des Heimatforschers und Gymnasiallehrers Dr. Heinrich Disselnkötter und seiner Frau Auguste, geb. Wessel, geboren. Nach bestandenem Abitur 1922 begann er ein Theologiestudium in Marburg. Einmal unterbrach er wegen einer Anstellung bei der Deutschen Bank sein Studium und später noch einmal, um bei wohlbetuchten Familien zuhause als Privatlehrer den Nachwuchs zu unterrichten. Anschließend studierte er in Tübingen und ab dem Wintersemester 1925/1926 in Bonn und examinierte im Oktober 1926 in Koblenz. Sein Vikariat, den zweiten praktischen Teil der Pfarrerausbildung, durchlief er in Köln und Wied und legte 1930 das zweite Examen ab. Nach seiner Ordination absolvierte er in Klarenthal im Saarland ein sechsmonatiges Pfarr-Praktikum. Noch im gleichen Jahr heiratete er, die aus Lothringen stammende Anna Auguste Haas. Anna wurde jedoch von allen immer Anita genannt und sie selbst benutzte diesen Vornamen ihr Leben lang. Gemeinsam zog das Paar nach Sensweiler. Dort trat er seine erste Pfarrstelle in der evangelischen Kirchengemeinde mit Filiale im Nachbarort Bruchweiler an. Zusammen hatte das Paar vier Kinder. 1931 wurde, als erstes von drei Kindern, die in Sensweiler auf die Welt kamen, Hermann Disselnkötter geboren. Der heute 91-Jährige erinnert sich noch sehr gut und hat sehr viele Details zu diesem Bericht beigetragen. Als eine sehr frühe Erinnerung prägte sich bei dem Jungen eine Hausdurchsuchung des Pfarrhauses durch Beamte der Gestapo ein. „An die Zeit des Kirchenkampfes, habe ich, obwohl damals noch sehr jung, deutliche Erinnerungen. Das Thema war in der Familie ständig präsent. Wo ein Amtsbruder meines Vaters stand, ob Bekennende Kirche oder Deutsche Christen, war wichtig zu wissen und bestimmte den Umgang mit ihm“ In den Jahren 1933 und 1937 konnte sich das Paar über die Geburt von zwei Töchtern freuen. Die jüngste Tochter kam 1941 in Züschen zur Welt.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten schloss sich das Ehepaar Disselnkötter schon sehr früh der „Bekennenden Kirche“ an, was sehr risikoreich war, weil allein schon die Mitgliedschaft zur Folge hatte, von der Gestapo als politisch unzuverlässig eingestuft zu werden. Beide waren zudem überzeugte Sozialdemokraten und auch Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei. In der Chronik von Wirschweiler steht, dass bereits im Sommer 1933 Spannungen zwischen dem NS-Staat und den Kirchengemeinden spürbar waren. Traditionell stand die evangelische Kirche dem Kaiserreich sehr nahe. Die meisten Pfarrer waren von ihrer Gesinnung her eher nationalistisch, antidemokratisch und antikommunistisch eingestellt und lehnten deshalb auch die Weimarer Republik ab und begrüßten die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933. Diese Zeit stellte die evangelischen Landeskirchen vor eine besondere Zerreißprobe. Bereits in der Weimarer Republik formierten sich innerhalb der ev. Kirche die „Deutschen Christen“. Diese gewannen schnell großen Einfluss und prägten mit ihren Vorstellungen stark die Kirchenpolitik. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Landeskirchen zu einer Reichskirche, mit einem Reichsbischof an der Spitze, zusammengefasst. Mit ihren teilweise sogar unbiblischen Ansichten und Forderungen überspannten sie für viele Pfarrer den Bogen, mit der
Folge, dass sich etliche distanzierten. Die Reichskirche bestand unter anderem darauf, dass nur „Arier“ Mitglieder sein dürfen und getaufte Juden, als „Nichtarier“ ausgeschlossen werden müssen. Sie forderten die Abschaffung des Alten Testamentes sowie die „Reinigung“ des Neuen Testaments von allen jüdischen Einflüssen. Im nationalsozialistischen Denken war das Judentum eine eigene „Rasse“ und keine Religion. Für sie war ein Jude auch jemand, der ein jüdisches Elternteil oder Großelternteil hatte. Entsprechende amtlich beglaubigte Abstammungsnachweise enthielt ein eigens als Nachweis eingeführter Ahnenpass für „Arier“.

Eine Opposition zur Reichskirche sammelte sich in der „Bekennenden Kirche“. Sie beanspruchte seit ihrer Gründung im April 1934, die einzige rechtmäßige Kirche Jesu Christi zu sein. Eine einheitliche Position gegen den Führerstaat gab es allerdings nicht, aber viele Pfarrer aus dieser Bewegung wurden zu Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Etliche, wie Diedrich Bonhoeffer, Georg Maus und Paul Schneider bezahlten dafür mit ihrem Leben. Der Dickenschieder Pfarrer Paul Schneider und Pfarrer Disselnkötter lernten sich schon früh in ihrer Zeit als Pfarrer auf dem Hunsrück kennen und wurden sehr gute Freunde. Sie waren sich trotz großer persönlicher Verschiedenheit einig und fest entschlossen, alle Versuche die Kirche für den NS-Staat zu instrumentalisieren, abzuwehren. Beide waren auch in der im August 1933 gegründeten Hunsrücker Pfarrbruderschaft aktiv, der Pfarrer aus den Synoden Trier, Trarbach und Simmern angehörten. Bereits im Januar 1934 trafen sie sich in Büchenbeuren mit ca. 300 Gemeindevertreter und Pfarrer vom Hunsrück und von der Mosel. Auf diesem Treffen formulierte man schon vier Monate vor der „Barmer Theologischen Erklärung“, dem grundlegenden evangelischen Glaubenszeugnis im Kirchenkampf, das „Hunsrücker Bekenntnis“. Darin sprach man sich gegen die Einführung des Führerprinzips in der evangelischen Kirche und die Herabwürdigung des Alten Testamentes aus. Daraufhin kam es schnell zu Konflikten mit dem NS-Staat. Pfarrer Disselnkötter machte aus seiner politischen Einstellung und von seiner christlichen Überzeugung im Dorf keinen Hehl. So hatte er seiner Schäferhündin “Asta” beigebracht, nicht zu fressen, wenn man ihr sagte: “Das ist vom Hitler”. Sein Sohn erinnert sich noch gut an ein Foto von Martin Niemöller, das im Pfarrhaus auf dem Schreibtisch stand. Martin Niemöller war auch evangelischer Pfarrer und eine der Gallionsfiguren der Bekennenden Kirche. Paul Schneider wurde 1937 im Koblenzer Gestapo-Gefängnis in Schutzhaft
genommen und anschließend nach Wiesbaden überstellt mit der Auflage, sich nicht mehr in der Rheinprovinz aufhalten zu dürfen. Eine Zeit lang verbrachte er in Eschbach im Taunus und in BadenBaden. Auf Wunsch seines Presbyteriums plante er allerdings seine Rückkehr in die Gemeinde nach Dickenschied, zurück zu seiner Frau und seinen sechs Kindern. In Baden-Baden verbrachten die beiden Pfarrersfamilien zusammen einige Zeit miteinander und Pfarrer Disselnkötter versuchte mit Engelszungen seinen Kollegen von diesem Vorhaben abzubringen. Paul Schneider, bei den Disselnkötters als „Dickkopf“ bekannt, glaubte fest daran, dass das Regime Respekt vor seinen Verdiensten als Weltkriegsveteran an der Ostfront und in der Schlacht um Verdun haben würde. Zudem war er Leutnant der Reserve und für seine Verdienste mit dem Eisernen Kreuzes II Klasse ausgezeichnet worden. Weit gefehlt. Am 3. Oktober 1937 feierte er den Gottesdienst zum Erntedankfest in Dickenschied. Auf dem Weg zum Nachmittagsgottesdienst nach Womrath, wurde er verhaftet und erneut in das Gefängnis der Geheimen Staatspolizei in Koblenz gebracht. Einen Monat später wurde er in das neu errichtete KZ Buchenwald verlegt. Doch weder Zwangsarbeit, Stockschläge und Einzelhaft konnten ihn beugen. Margarete Schneider schreibt ihrem inhaftierten Mann, dass Disselnkötters sie oft mit dem Auto zu Ausflügen an den Rhein und in den Hochwald mitnahmen. Einen Opel 4 PS, im Volksmund „Laubfrosch“ genannt, hatten sich die beiden Pfarrersfamilien aus Sensweiler und dem benachbarten Wirschweiler zusammen angeschafft. Gerhard Petry, der am 07.04.1905 in Züsch geborene Sohn eines Pfarrers trat am 01.05.1931 die Nachfolge von Pfarrer Hartz in Wirschweiler an. Pfarrer Petry hatte jedoch in seiner Gemeinde viel mehr Rückhalt als sein Kollege in Sensweiler. Pfarrer Disselnkötter
war zudem gesundheitlich stark angeschlagen. Er hatte große Probleme mit der Lunge und besonders die kalten Wintermonate im Hunsrück machten ihm zu schaffen. Auch Pfarrer Gerhard Petry aus Wirschweiler unterstützte Frau Schneider und fuhr mit nach Koblenz, um ihren inhaftierten Mann zu besuchen, bevor dieser in das Konzentrationslager verlegt wurde. Am 18. Juli 1939 erreichte Gretel Schneider ein Telegramm mit der traurigen Mitteilung das Paul Schneider verstorben sei. Noch in derselben Nacht fuhr die Witwe mit Pfarrer Petry und einem Anhänger ins KZ Buchenwald um den Leichnam ihres Mannes abzuholen um ihn in der Heimatgemeinde beisetzten zu können. Nach Erledigung aller Formaltäten, wurde der Sarg jedoch mehrfach versiegelt und ausdrücklich verboten ihn zu öffnen. Zurück auf dem Hunsrück, durfte der Sarg auch nicht in die Dickenschieder Kirche, sondern musste in die Kapelle des Simmerner Krankenhauses, wo er unter Polizeiaufsicht bis zur Beisetzung verblieb. Später stellte sich heraus warum. Durch die miserablen Haftbedingungen und von Misshandlungen war der Körper schwer gezeichnet. Es wurde zwar eine Zeit lang abgewartet bis er sich, so weit wie noch möglich erholt hatte und ihm die Folter nicht mehr sofort anzusehen war. Doch dann wurde der „Prediger von Buchenwald“ mit einer starken Überdosis eines Herzmedikamentes von einem Lagerarzt ermordet. Trotz Vorkehrungen der Gestapo fand die Beisetzung, in Dickenschied unter sehr großer Anteilnahme der Bevölkerung statt. Unter den mehr als 1000 Trauergäste waren auch etwa 200 Pfarrer, darunter auch viele Kollegen aus den Hochwaldgemeinden. Pfarrer Petry wurde Anfang Oktober 1939 bis November zu einem Baubataillon eingezogen und im Mai 1941erneut zum Heeresdienst. Er überlebte den Fronteinsatz und im Oktober 1945 kehrte er aus englischer Kriegsgefangenschaft wieder zurück nach Wirschweiler. 1947 wechselte er nach Neuwied.

Bereits 1936 wollte sich Pfarrer Disselnkötter in das saarländische Heusweiler versetzen lassen, was letztlich aber dann doch nicht zu Stande kam. Die unterschiedlichen Meinungen und Positionen innerhalb der Bekennenden Kirche belasteten ihn zunehmend. In seiner Gemeinde wurde durch die SA und NSDAP die Feindschaft gegen die Kirche stetig stärker und es wurde Druck auf die Gemeindemitglieder ausgeübt, die weiterhin treu zur Kirche hielten. Der Lehrer war treibende Kraft im Kampf gegen die Kirchengemeinde zu Gunsten der NS-Weltanschauung. Er beeinflusste seine Schüler, sich nicht mehr konfirmieren zu lassen. Am Konfirmationssonntag, als die Kirchenglocken zum Konfirmationsgottesdienst läuteten, empfingen eine ganze Anzahl von Kindern in Anwesenheit von Parteifunktionären und dem Amtsbürgermeister „unter der Fahne“ eine NS-Jugendweihe. In dieser Zeit haben sich 29 Kinder nicht konfirmieren lassen. Aus der Kirche traten 7 Familien aus und einige ließen ihre Kinder erst gar nicht mehr taufen. Am 12. Dezember 1937 wurde Pfarrer Disselnkötter aus „gesundheitlichen Gründen“ ins nördliche Hessen nach Züschen versetzt. Die Pfarrstelle in Sensweiler wurde Ende Dezember des gleichen Jahres aufgelöst und das Pfarrhaus in Sensweiler vermietet. Für Gemeindezwecke wurde lediglich ein Zimmer im Erdgeschoss genutzt. Am neuen Wohnort wurde er von der Gestapo nicht mehr so wie in Sensweiler behelligt. Einmal „scherzte“ er und meinte, die Akte sei wohl von der Gestapo nicht weitergeleitet worden. Es wurde ihm in Züschen auch nachgesehen, dass er in der Reichspogromnacht (Nacht vom 9.11. auf den 10.11.1938) versuchte den aufgehetzten Mob noch zu bremsen. Im Gottesdient am darauffolgenden Sonntag verurteilte er sogar dieses Verbrechen an den Juden sehr scharf und positionierte sich auch in der Predigt unmissverständlich. Den Dienst den das Ehepaar in Züschen leistete, wurde aber auch von den Nationalsozialisten des Orts anerkannt und geschätzt, was sicherlich für die beiden in dieser Zeit sehr hilfreich war. Anfang 1945 bat eine Frau Disselnkötters um Hilfe. Die Frau gab vor, Flüchtling aus Ostpreußen zu sein, alles verloren zu haben und auf der Flucht vor der Roten Armee zu sein. Beide konnten dem, was sie hörten zwar von Anfang an keinen Glauben schenken, nahmen aber dennoch die verzweifelte fremde Frau im Pfarrhaus auf. Wie sich schnell herausstellte handelte es sich um eine zum Christentum konvertierte Jüdin, die mit einem Zahnarzt aus Kassel verheiratet und so in der Gegend nicht ganz unbekannt war. Laut geltenden Rassengesetzten galt sie aber weiterhin als Jüdin. Disselnkötters nahmen in Kauf, verhaftet zu werden und sogar mit einer Deportation in ein Konzentrationslager, wenn die Frau bei ihnen entdeckt und alles bekannt würde. Das Ehepaar war ja bei der Gestapo ohnehin bekannt. Mit dem Einmarsch amerikanischer Truppenverbände am Karfreitag 1945, war die Angst aufzufliegen oder denunziert zu werden endlich vorbei. Für diese riskante Tat wurden Pfarrer Disselnkötter und seine Frau noch zu Lebzeiten von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt. Dieser Ehrentitel ist für nichtjüdische Personen, die unter nationalsozialistischer Herrschaft, während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten. Das Pfarrhaus stand auch nach dem Krieg Geflüchteten und für Hilfesuchenden immer offen. 1946 zog die Familien nach Bad Wildungen, wo er bis zum Eintritt in den Ruhestand 1971 als Pfarrer amtierte und mit seiner Frau sehr segensreich in der Gemeinde diente. 2000 starb er im Kreis seiner Frau und seiner Tochter in Kassel.

Quellen: Hermann Disselnkötter, Zeitzeuge und Sohn  Paul Dieterich: „Was Margarete Schneider ihrem Mann ins Gefängnis und Konzentrations-  lager schrieb“  Bodo Bost: „Ein Gerechter unter den Völkern aus Trarben Trarbach“  Chronik Wirschweiler

Der von 1930 -1937

in Sensweiler amtierende

Pfarrer Walther Disselnkötter

Ein „Gerechter unter den Völkern“

von Axel Brunk



Jeden Sonntag kam pünktlich ein Mann nach Sensweiler geritten, stieg ab, band sein Pferd an, betrat die kleine Kirche, reihte sich zwischen den Gottesdienstbesuchern auf einer der Kirchenbänke ein, schaute sich genau um, machte sich Notizen und protokollierte, was der Pfarrer von der Kanzel predigte. Es interessierte ihn aber weder die christliche Botschaft, noch eine besondere kirchliche Lehre oder gar die Auslegung des Wortes Gottes, denn er war sonntags dienstlich in dem kleinen Hunsrückort eingesetzt. Er achtete akribisch auf jedes Wort, das eventuell dem Wohl des Reiches, dem Ansehen der Reichsregierung oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei hätte schädlich sein können. Denn somit wäre laut dem 1934 erlassenen Heimtückegesetz, der Tatbestand eines heimtückischen Angriffs auf Staat und Partei erfüllt. Der Mann, den der uniformierte Polizist observierte, war Pfarrer Walther Emil Carl Disselnkötter. Walther Disselnkötter wurde am 14.11.1903 in dem damaligen größten Weinhandelszentrum des Deutschen Kaiserreichs, Traben-Trarbach, als Sohn des Heimatforschers und Gymnasiallehrers Dr. Heinrich Disselnkötter und seiner Frau Auguste, geb. Wessel, geboren. Nach bestandenem Abitur 1922 begann er ein Theologiestudium in Marburg. Einmal unterbrach er wegen einer Anstellung bei der Deutschen Bank sein Studium und später noch einmal, um bei wohlbetuchten Familien zuhause als Privatlehrer den Nachwuchs zu unterrichten. Anschließend studierte er in Tübingen und ab dem Wintersemester 1925/1926 in Bonn und examinierte im Oktober 1926 in Koblenz. Sein Vikariat, den zweiten praktischen Teil der Pfarrerausbildung, durchlief er in Köln und Wied und legte 1930 das zweite Examen ab. Nach seiner Ordination absolvierte er in Klarenthal im Saarland ein sechsmonatiges Pfarr-Praktikum. Noch im gleichen Jahr heiratete er, die aus Lothringen stammende Anna Auguste Haas. Anna wurde jedoch von allen immer Anita genannt und sie selbst benutzte diesen Vornamen ihr Leben lang. Gemeinsam zog das Paar nach Sensweiler. Dort trat er seine erste Pfarrstelle in der evangelischen Kirchengemeinde mit Filiale im Nachbarort Bruchweiler an. Zusammen hatte das Paar vier Kinder. 1931 wurde, als erstes von drei Kindern, die in Sensweiler auf die Welt kamen, Hermann Disselnkötter geboren. Der heute 91-Jährige erinnert sich noch sehr gut und hat sehr viele Details zu diesem Bericht beigetragen. Als eine sehr frühe Erinnerung prägte sich bei dem Jungen eine Hausdurchsuchung des Pfarrhauses durch Beamte der Gestapo ein. „An die Zeit des Kirchenkampfes, habe ich, obwohl damals noch sehr jung, deutliche Erinnerungen. Das Thema war in der Familie ständig präsent. Wo ein Amtsbruder meines Vaters stand, ob Bekennende Kirche oder Deutsche Christen, war wichtig zu wissen und bestimmte den Umgang mit ihm“ In den Jahren 1933 und 1937 konnte sich das Paar über die Geburt von zwei Töchtern freuen. Die jüngste Tochter kam 1941 in Züschen zur Welt.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten schloss sich das Ehepaar Disselnkötter schon sehr früh der „Bekennenden Kirche“ an, was sehr risikoreich war, weil allein schon die Mitgliedschaft zur Folge hatte, von der Gestapo als politisch unzuverlässig eingestuft zu werden. Beide waren zudem überzeugte Sozialdemokraten und auch Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei. In der Chronik von Wirschweiler steht, dass bereits im Sommer 1933 Spannungen zwischen dem NS-Staat und den Kirchengemeinden spürbar waren. Traditionell stand die evangelische Kirche dem Kaiserreich sehr nahe. Die meisten Pfarrer waren von ihrer Gesinnung her eher nationalistisch, antidemokratisch und antikommunistisch eingestellt und lehnten deshalb auch die Weimarer Republik ab und begrüßten die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933. Diese Zeit stellte die evangelischen Landeskirchen vor eine besondere Zerreißprobe. Bereits in der Weimarer Republik formierten sich innerhalb der ev. Kirche die „Deutschen Christen“. Diese gewannen schnell großen Einfluss und prägten mit ihren Vorstellungen stark die Kirchenpolitik. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Landeskirchen zu einer Reichskirche, mit einem Reichsbischof an der Spitze, zusammengefasst. Mit ihren teilweise sogar unbiblischen Ansichten und Forderungen überspannten sie für viele Pfarrer den Bogen, mit der
Folge, dass sich etliche distanzierten. Die Reichskirche bestand unter anderem darauf, dass nur „Arier“ Mitglieder sein dürfen und getaufte Juden, als „Nichtarier“ ausgeschlossen werden müssen. Sie forderten die Abschaffung des Alten Testamentes sowie die „Reinigung“ des Neuen Testaments von allen jüdischen Einflüssen. Im nationalsozialistischen Denken war das Judentum eine eigene „Rasse“ und keine Religion. Für sie war ein Jude auch jemand, der ein jüdisches Elternteil oder Großelternteil hatte. Entsprechende amtlich beglaubigte Abstammungsnachweise enthielt ein eigens als Nachweis eingeführter Ahnenpass für „Arier“.


Eine Opposition zur Reichskirche sammelte sich in der „Bekennenden Kirche“. Sie beanspruchte seit ihrer Gründung im April 1934, die einzige rechtmäßige Kirche Jesu Christi zu sein. Eine einheitliche Position gegen den Führerstaat gab es allerdings nicht, aber viele Pfarrer aus dieser Bewegung wurden zu Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Etliche, wie Diedrich Bonhoeffer, Georg Maus und Paul Schneider bezahlten dafür mit ihrem Leben. Der Dickenschieder Pfarrer Paul Schneider und Pfarrer Disselnkötter lernten sich schon früh in ihrer Zeit als Pfarrer auf dem Hunsrück kennen und wurden sehr gute Freunde. Sie waren sich trotz großer persönlicher Verschiedenheit einig und fest entschlossen, alle Versuche die Kirche für den NS-Staat zu instrumentalisieren, abzuwehren. Beide waren auch in der im August 1933 gegründeten Hunsrücker Pfarrbruderschaft aktiv, der Pfarrer aus den Synoden Trier, Trarbach und Simmern angehörten. Bereits im Januar 1934 trafen sie sich in Büchenbeuren mit ca. 300 Gemeindevertreter und Pfarrer vom Hunsrück und von der Mosel. Auf diesem Treffen formulierte man schon vier Monate vor der „Barmer Theologischen Erklärung“, dem grundlegenden evangelischen Glaubenszeugnis im Kirchenkampf, das „Hunsrücker Bekenntnis“. Darin sprach man sich gegen die Einführung des Führerprinzips in der evangelischen Kirche und die Herabwürdigung des Alten Testamentes aus. Daraufhin kam es schnell zu Konflikten mit dem NS-Staat. Pfarrer Disselnkötter machte aus seiner politischen Einstellung und von seiner christlichen Überzeugung im Dorf keinen Hehl. So hatte er seiner Schäferhündin “Asta” beigebracht, nicht zu fressen, wenn man ihr sagte: “Das ist vom Hitler”. Sein Sohn erinnert sich noch gut an ein Foto von Martin Niemöller, das im Pfarrhaus auf dem Schreibtisch stand. Martin Niemöller war auch evangelischer Pfarrer und eine der Gallionsfiguren der Bekennenden Kirche. Paul Schneider wurde 1937 im Koblenzer Gestapo-Gefängnis in Schutzhaft
genommen und anschließend nach Wiesbaden überstellt mit der Auflage, sich nicht mehr in der Rheinprovinz aufhalten zu dürfen. Eine Zeit lang verbrachte er in Eschbach im Taunus und in BadenBaden. Auf Wunsch seines Presbyteriums plante er allerdings seine Rückkehr in die Gemeinde nach Dickenschied, zurück zu seiner Frau und seinen sechs Kindern. In Baden-Baden verbrachten die beiden Pfarrersfamilien zusammen einige Zeit miteinander und Pfarrer Disselnkötter versuchte mit Engelszungen seinen Kollegen von diesem Vorhaben abzubringen. Paul Schneider, bei den Disselnkötters als „Dickkopf“ bekannt, glaubte fest daran, dass das Regime Respekt vor seinen Verdiensten als Weltkriegsveteran an der Ostfront und in der Schlacht um Verdun haben würde.
Zudem war er Leutnant der Reserve und für seine Verdienste mit dem Eisernen Kreuzes II Klasse ausgezeichnet worden. Weit gefehlt. Am 3. Oktober 1937 feierte er den Gottesdienst zum Erntedankfest in Dickenschied. Auf dem Weg zum Nachmittagsgottesdienst nach Womrath, wurde er verhaftet und erneut in das Gefängnis der Geheimen Staatspolizei in Koblenz gebracht. Einen Monat später wurde er in das neu errichtete KZ Buchenwald verlegt. Doch weder Zwangsarbeit, Stockschläge und Einzelhaft konnten ihn beugen. Margarete Schneider schreibt ihrem inhaftierten Mann, dass Disselnkötters sie oft mit dem Auto zu Ausflügen an den Rhein und in den Hochwald mitnahmen. Einen Opel 4 PS, im Volksmund „Laubfrosch“ genannt, hatten sich die beiden Pfarrersfamilien aus Sensweiler und dem benachbarten Wirschweiler zusammen angeschafft. Gerhard Petry, der am 07.04.1905 in Züsch geborene Sohn eines Pfarrers trat am 01.05.1931 die Nachfolge von Pfarrer Hartz in Wirschweiler an. Pfarrer Petry hatte jedoch in seiner Gemeinde viel mehr Rückhalt als sein Kollege in Sensweiler. Pfarrer Disselnkötter
war zudem gesundheitlich stark angeschlagen. Er hatte große Probleme mit der Lunge und besonders die kalten Wintermonate im Hunsrück machten ihm zu schaffen. Auch Pfarrer Gerhard Petry aus Wirschweiler unterstützte Frau Schneider und fuhr mit nach Koblenz, um ihren inhaftierten Mann zu besuchen, bevor dieser in das Konzentrationslager verlegt wurde. Am 18. Juli 1939 erreichte Gretel Schneider ein Telegramm mit der traurigen Mitteilung das Paul Schneider verstorben sei. Noch in derselben Nacht fuhr die Witwe mit Pfarrer Petry und einem Anhänger ins KZ Buchenwald um den Leichnam ihres Mannes abzuholen um ihn in der Heimatgemeinde beisetzten zu können. Nach Erledigung aller Formaltäten, wurde der Sarg jedoch mehrfach versiegelt und ausdrücklich verboten ihn zu öffnen. Zurück auf dem Hunsrück, durfte der Sarg auch nicht in die Dickenschieder Kirche, sondern musste in die Kapelle des Simmerner Krankenhauses, wo er unter Polizeiaufsicht bis zur Beisetzung verblieb. Später stellte sich heraus warum. Durch die miserablen Haftbedingungen und von Misshandlungen war der Körper schwer gezeichnet. Es wurde zwar eine Zeit lang abgewartet bis er sich, so weit wie noch möglich erholt hatte und ihm die Folter nicht mehr sofort anzusehen war. Doch dann wurde der „Prediger von Buchenwald“ mit einer starken Überdosis eines Herzmedikamentes von einem Lagerarzt ermordet. Trotz Vorkehrungen der Gestapo fand die Beisetzung, in Dickenschied unter sehr großer Anteilnahme der Bevölkerung statt. Unter den mehr als 1000 Trauergäste waren auch etwa 200 Pfarrer, darunter auch viele Kollegen aus den Hochwaldgemeinden. Pfarrer Petry wurde Anfang
Oktober 1939 bis November zu einem Baubataillon eingezogen und im Mai 1941erneut zum Heeresdienst. Er überlebte den Fronteinsatz und im Oktober 1945 kehrte er aus englischer Kriegsgefangenschaft wieder zurück nach Wirschweiler. 1947 wechselte er nach Neuwied.

Bereits 1936 wollte sich Pfarrer Disselnkötter in das saarländische Heusweiler versetzen lassen, was letztlich aber dann doch nicht zu Stande kam. Die unterschiedlichen Meinungen und Positionen innerhalb der Bekennenden Kirche belasteten ihn zunehmend. In seiner Gemeinde wurde durch die SA und NSDAP die Feindschaft gegen die Kirche stetig stärker und es wurde Druck auf die Gemeindemitglieder ausgeübt, die weiterhin treu zur Kirche hielten. Der Lehrer war treibende Kraft im Kampf gegen die Kirchengemeinde zu Gunsten der NS-Weltanschauung. Er beeinflusste
seine Schüler, sich nicht mehr konfirmieren zu lassen. Am Konfirmationssonntag, als die Kirchenglocken zum Konfirmationsgottesdienst läuteten, empfingen eine ganze Anzahl von Kindern in Anwesenheit von Parteifunktionären und dem Amtsbürgermeister „unter der Fahne“ eine NS-Jugendweihe. In dieser Zeit haben sich 29 Kinder nicht konfirmieren lassen. Aus der Kirche traten 7 Familien aus und einige ließen ihre Kinder erst gar nicht mehr taufen. Am 12. Dezember 1937 wurde Pfarrer Disselnkötter aus „gesundheitlichen Gründen“ ins nördliche Hessen nach Züschen versetzt. Die Pfarrstelle in Sensweiler wurde Ende Dezember des gleichen Jahres aufgelöst und das Pfarrhaus in Sensweiler vermietet. Für Gemeindezwecke wurde lediglich ein Zimmer im Erdgeschoss genutzt. Am neuen Wohnort wurde er von der Gestapo nicht mehr so wie in Sensweiler behelligt. Einmal „scherzte“ er und meinte, die Akte sei wohl von der Gestapo nicht weitergeleitet worden. Es wurde ihm in Züschen auch nachgesehen, dass er in der Reichspogromnacht (Nacht vom 9.11. auf den 10.11.1938) versuchte den aufgehetzten Mob noch zu bremsen. Im Gottesdient am darauffolgenden Sonntag verurteilte er sogar dieses Verbrechen an den Juden sehr scharf und positionierte sich auch in der Predigt unmissverständlich. Den Dienst den das Ehepaar in Züschen leistete, wurde aber auch von den Nationalsozialisten des Orts anerkannt und geschätzt, was sicherlich für die beiden in dieser Zeit sehr hilfreich war. Anfang 1945 bat eine Frau Disselnkötters um Hilfe. Die Frau gab vor, Flüchtling aus Ostpreußen zu sein, alles verloren zu haben und auf der Flucht vor der Roten Armee zu sein. Beide konnten dem, was sie hörten zwar von Anfang an keinen Glauben schenken, nahmen aber dennoch die verzweifelte fremde Frau im Pfarrhaus auf. Wie sich schnell herausstellte handelte es sich um eine zum Christentum konvertierte Jüdin, die mit einem Zahnarzt aus Kassel verheiratet und so in der Gegend nicht ganz unbekannt war. Laut geltenden Rassengesetzten galt sie aber weiterhin als Jüdin. Disselnkötters nahmen in Kauf, verhaftet zu werden und sogar mit einer Deportation in ein Konzentrationslager, wenn die Frau bei ihnen entdeckt und alles bekannt würde. Das Ehepaar war ja bei der Gestapo ohnehin bekannt. Mit dem Einmarsch amerikanischer Truppenverbände am Karfreitag 1945, war die Angst aufzufliegen oder denunziert zu werden endlich vorbei. Für diese riskante Tat wurden Pfarrer Disselnkötter und seine Frau noch zu Lebzeiten von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt. Dieser Ehrentitel ist für nichtjüdische Personen, die unter nationalsozialistischer Herrschaft, während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten. Das Pfarrhaus stand auch nach dem Krieg Geflüchteten und für Hilfesuchenden immer offen. 1946 zog die Familien nach Bad Wildungen, wo er bis zum Eintritt in den Ruhestand 1971 als Pfarrer amtierte und mit seiner Frau sehr segensreich in der Gemeinde diente. 2000 starb er im Kreis seiner Frau und seiner Tochter in Kassel.

Quellen: Hermann Disselnkötter, Zeitzeuge und Sohn  

Paul Dieterich: „Was Margarete Schneider ihrem Mann ins Gefängnis und Konzentrationslager schrieb“  

Bodo Bost: „Ein Gerechter unter den Völkern aus Trarben Trarbach“  

Chronik Wirschweiler

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