
Der Croppenhof
ein Bericht von Albert Molz
aus dem Heimatkalender 1961
In der Gemeinde Sensweiler ist mündlich überliefert, daß das Dorf früher drei Höfe hatte: Simonshof, Hubertushof und Jakobshof. Über die beiden letzteren sind bisher keine Urkunden oder andere schriftlichen Aufzeichnungen vorgekommen. Der Simonshof ist seit 1273 mit seinem Namen nachgewiesen, auch 1777 wird er in einer Rechnung des Amtes Wildenburg noch so genannt, hierbei wird auch ein Kulmannshof zu Sensweiler erwähnt, über den aber sonst nichts bekannt ist. Ein weiterer Hof, der geschichtlich belegt ist und an dem wegen seiner eigenartigen Rechtsverhältnisse viel Geschichte haftet, ist im Dorf völlig vergessen. Übrig geblieben ist von ihm ein verstümmelter und nicht verstandener Flurname, der auf den neuen Flurkarten nicht mehr vorkommt, zwar hier und da noch gebraucht wird, dann aber in gänzlich veränderter Form: der Croppenhof. Auf dem Plannblatt 3 der Gemeinde, kartiert 1933, heißt eine Wiesenflur zwischen Steinbachtal und "Hauel" heute "in den Langwiesen". Der Volksmund gebraucht noch mitunter dafür: "im Krippchen". Das hat mit einer Krippe nichts zu tun. In der Bezeichnung steckt der Name des Croppenhofes, sie bedeutet richtig: im Croppischen und soll besagen, daß hier entweder der Croppenhof lag oder daß das Gelände zum Croppenhof gehörte. Daß hier einmal Hofland war, beweisen auch die zwischen Langwiesen und dem Friedhofsweg liegenden Gewannen: "an der Hofgewann" und dahinter: "die Hofgewann". Einen weiteren Beweis, daß das Krippchen ehemals Herrenland war, kann man darin sehen, daß ein Teil der Wiesenflur heute noch Kirchenland ist, das irgendwie bei der Auflösung der Herrenhöfe der Kirche übereignet wurde. Daß der Croppenhof in Sensweiler bestand, ist durch das Wildengurger Weistum aus der Zeit von 1520-1550 bewiesen. Grimm hat es in der Sammlung seiner Weistümer unter der Nummer II/128 aufgenommen, wo der Hof unter diesem Namen genannt wird.
Eigenartig ist seine staatliche Zugehörigkeit. Sensweiler gehörte zum Amt Wildenburg der Wildgrafschaft. Der Croppenhof war aber sponheimischer Besitz. Weitere sponheimische Höfe sind nachgewiesen in Bruchweiler-Schauren, ebenso in Asbach, Kirchweiler und Sulzbach.
Recht groß war auch der Besitz der Sponheimer in Hottenbach und Hellertshausen. Eine Aufstellung vom Jahre 1600 zeigt folgenden sponheimischen Besitz im Amt Wildenburg: Hottenbach 25 Untertanen (Hausstätten) Hellertshausen 7, Schauren 7, Bruchweiler 12, Sensweiler 8, Sulzbach 1, Asbach 12. Sie unterstanden dem Sponheimer Oberamt Kirchberg, waren dorthin grundhörig zinspflichtig; im Gerichtswesen gehörten sie zur Hochgerichtsbarkeit des Wildenburger Amtes, ein recht eigenartiger Zustand. Beim Zerfall der Grafschaft Sponheim kamen die oben genannten Untertanen durch den Staatsvertrag vom Jahre 1707 an die Marktgrafschaft Baden. Sie blieben bei ihr bis zum Ende der Feudalherrschaft. Die Sponheimer Akten (St. Archiv Koblenz Nr. 2896) vom 23.04.1776 verzeichnen an badischen Untertanen: Hottenbach 64 Bauern, Hellertshausen 24, Schauren 2, Bruchweiler 12, Sensweiler 4. An diese Zugehörigkeit erinnert für Sensweiler das Waldstück "Baasbruch", verstümmelt aus "badisch Bruche". Diese letzten vier Bauernstätten ins Sensweiler gehörten also zum sponheimisch-badischen Croppenhof als Gutsuntetanen. Da seit der Auflösung durch die französische Herrschaft (1798) etwas 160 Jahre vergangen sind ist verständlich, daß die Erinnerung an diese zeit verblaßt ist, obwohl es den "badischen Untertanen" im Zeitalter der Leibeigenschaft viel besser erging als den "wildgräflichen"; das Amt Wildenburg war, was Ausbeutung, Lasten und Härte in der Rechtspflege angeht, verrufen. Baden hob freiwillig die Leibeigenschaft auf, die Wildenburger dachten nicht daran; dort war gegen ende des 18. Jahrhunderts die Folter noch in Gebrauch. Die Birkenfelder, ebenfalls badisch geworden, nannten die badische Herrschaft eine Zeit des Segens für das Land.
Für Sensweiler erinnert sich der Verfasser, daß noch um 1900 überliefert war, daß ein kleiner Teil des Dorfes einmal zu Baden gehört habe, dabei wurde mit Bestimmtheit ein Haus genannt, damals Leonhards, heute Bauernhof Weyand. Das ist festzuhalten, um auch die Lage des Croppenhofes etwas zu bestimmen. Das "Krippchen", die Flure "an der Hofgewann" und "die Hofgewann" liegen am Rand dieses Ortsbereiches, wobei man annehmen darf, daß auch die anderen drei Hofstätten von 1776 dort lagen; wo der Haupthof war, wohnten auch die Untertanen. Das ist in kurzen Zügen die Geschichte des Croppenhofes der entgegen den zwei anderen oben genannten Höfen nicht sagenhaft, sondern geschichtlich einwandfrei belegt. ist.
Aber noch interessanter als seine Geschichte ist sein Rechtszustand. Er war ein Asylhof, das heißt ein Freihof, eine Zufluchtsstätte für gerichtlich Verfolgte. Zum Verständnis sei etwas über die Asylhöfe gesagt. Schon die ältesten Zeiten kennen den Begriff der "Blutrache". Bei Totschlag war die Sippe des Getöteten berechtigt, die Untat zu rächen, Schadenersatz zu fordern. Daß dabei Übergriffe und Maßlosigkeit im Rechtsanspruch vorkamen, ist zu verstehen. Und darum finden wir bereits in den Gesetzen des Moses den vorläufigen Schutz des Verfolgten in einer Zufluchtsstätte, dem Asyl. Auch bei den Griechen kannte man diese Einrichtung. Asyl war jeder den Göttern geweihte Ort. Im alten Rom gab es auch das Asyl für Verfolgte, und jede Verletzung des Asylrechtes durch die Verfolger galt als Frevel gegen die Götter. Unter Konstantin d. Gr. ging mit der Einführung des Christentums das Asylrecht auf die Kirchen über, auf Klöster, Hospitälern, später auf Wohnungen der Bischöfe und Geistlichen. Der Flüchtling mußte im Asyl die Waffen ablegen und sich friedlich verhalten, bis seine Sache untersucht und entschieden war. Das Asylrecht ging später auf die staatliche Justiz über. Wir finden es dann im germanischen Volksrecht. Dem Totschlag wurde gleichgerechnet Verletzung des Weibes und Mädchenraub, oft auch versuchter Totschlag oder schwerste Körperverletzung. Als Buße galt auch hier die Blutrache durch die Sippe, später wurde auch an Stelle der tatsächlichen körperlichen Rache das Wergeld eingeführt, eine Zahlung in Vieh oder Geld an die Gemeinde. Um Willkür, Eigenmächtigkeit und Übertreibung der Blutrache, die sich oft endlos durch Geschlechter fortsetzte, zu vemeiden, gab es die Asylhöfe. Ihr Rechtszustand und ihre Gesetze sind uns in zahlreichen Weistümern - das sind aufgezeichnete Rechtsordnungen oder Gesetze - erhalten geblieben. Der Croppenhof war ein solcher Frei- oder Asylhof. In Bruchweiler-Schauren gab es deren vier, auch in Asbach, Kirschweiler und Sulzbach waren Freihöfe. Der Asylhof zu Mörschied führte als Zeichen des Schutzes für den Verfolgten über der Pforte den Adler, als Zeichen der Versorgung eine Brezel (Brot).
Das obengenannte Wildenburger Weistum (Grimm II/128) berichtet zum Sensweiler Freihof: "Fragt der Richter, ob etliche Güter frei sein? Antwortet der Schöffe und weist nit mehre, dann ein hoffgut, Croppenhoff, und ob ein mißtätiger darin lief, soll er der Freiheit genießen, will der Hofmann ihn richten, soll er einen Galgen über die Pforte machen und soll ihn lassen richten mit dem Bauch zur Pforte und mit dem Rücken nach außen. Wo einem Hofmann das zu schwer dünkt, soll er ihn mit dem rechten Gehren nehmen und vor die Pforten liefern auf der Herren Gericht in der Herren Hand."
Zu diesen etwas sonderbaren Ausführungen sei erklärt: Die Gerichtsbarkeit über alle Rechtsfälle, auch über Leib und Leben, lag im Amt Wildenburg in den Händen des Landesherrn, der Wildgrafen, ausgeübt durch die Amtsmänner. Gerichtsstätte und Galgen waren am "Urteilsstock" in der Nähe der Wildenburg. Im Asylhof dagegen hatte der Hofherr die Gerichtsbarkeit. Das mußte vom Landesherrn als eine Einschränkung seiner Rechte empfunden werden, die Asylhöfe waren ihm im Wege, waren unbequem. Bei jeder Gerichtsverhandlung wurde darum ausdrücklich vom Richter (das konnte der Amtmann sein) die Zuständigkeit geprüft: der Schöffe bestätigt, daß in Sensweiler nur ein Hof Asylrecht habe und damit das immer deutlich blieb, sagt das Weistum an anderer Stelle: Zu Sensweiler haben unsere gnädigen Herren Gebot und Verbot, hoch und nieder zu richten und sonst kein anderer. Das sind die Wildgrafen, damit nicht etwa weitere Höfe sich das Asylrecht anmaßten. Das hatte seinen Sinn: dem Richter, d. h. dem Inhaber der Gerichtsbarkeit, gehörte neben den Geldbußen auch das ihm verfallende Vermögen des Gerichteten! Der Asylhof mußte geduldet werden. Der Missetäter war im Asylhof vor den Verfolgern zunächst geschützt. Ihm war Gelegenheit gegeben, sich zu verantworten, seine Sache wurde untersucht. Über die Dauer des Aufenthaltes im Freihof sagen andere Weistümer, wie die von Bruchweiler und Schauren (II/138), ebenso Markgraf, "Das moselländische Volk in seinen Weistümern": Das Asylrecht dauerte in der Regel 45 Tage. Dann mußte entweder ein Urteil gefällt sein oder der Verfolgte mußte versuchen, aus dem Freihof zu entkommen. Die Verfolger haben selbstverständlich draußen aufgepaßt, daß er ihnen in diesem Falle nicht entging. Nach andern Weistümern konnte der Aufenthalt auch dadurch verlängert werden, daß es dem Flüchtling gelang, seine beiden Füße drei Schritte auf dem Boden außerhalb des Hofes zu setzen, wodurch sich die Gnadenfrist um weitere 45 Tage verlängerte. Dazu mag es selten gekommen sein.
Dem Hoffmann war es vielmehr darum zu tun, den Fall möglichst bald zu erledigen. Wollte er selbst richten, dann hatte er nach dem Weistum den Übeltäter in der angegebene Weise am Hoftor aufzuhängen. Das mag unangenehm gewesen sein. Das römische Recht erleichterte dem Hofmann sein Amt, indem es verordnete, daß der Verbrecher auch, wie im Sensweiler Weistum angegeben, an der Herren Gericht ausgeliefert werden konnte. Das waren für Sensweiler die Wildenburger Amtleute. Recht anschaulich ist auch die Form, wie diese Auslieferung vor sich gehen sollte: der Missetäter wird am rechten "Gehren" gefaßt und vor die Pforte gebracht. Das ist der rechte Rockschoß. Im Volksmund hat sich hierfür der Ausdruck erhalten: einen unangenehmen oder lästig werdenden Kerl "holt man am Bennel" und schleift ihn vor die Tür.
Zusammenfassend kann über das Asylrecht gesagt werden: Es hat sich aus der Blutrache entwickelt und ist gegen diese gerichtet. Zugunsten leichterer Vergehen soll verhindert werden, daß der Verfolgte voreilig an den Verfolger ausgeliefert wird. Der Galgen über der Tür soll dem Hofmann das Selbstrichten verleiden. Durch die Möglichkeit der Auslieferung konnte man die peinliche Gerichtsbarkeit (die Hinrichtung) von einem Hof dem andern zuschieben. Darum sah man es auch gern, wenn der Verfolgte aus dem Asylhof entfloh. Die Auslieferung hatte weiter den Sinn, daß der gemeine Verbrecher im Asylhof keinen unverdienten langen Aufschub haben sollte. Das Weistum gibt für Sensweiler nur noch ein ungelöstes Rätsel auf: das Dorf hat einen Galgenhügel. Es wäre also daran zu denken, dort die Hinrichtungsstätte zu suchen. Er liegt aber vom Croppenhof ziemlich entfernt am entgegengesetzten Ende des Ortes. Dort hatte der Asylherr keinerlei Recht zu richten. Die Weistümer nennen ausdrücklich den Galgen über der Pforte. Der Zweck dieser Forderung ist bereits dargestellt. Woher dann eine zweite Gagenstätte am Dorf? Für das ganze Amt Wildenburg war sie bei Kempfeld. Es gibt eine andere mögliche Erklärung. Sensweiler hat nicht immer zum wildgräflichen Amt gehört. Nach den Abschriften von Urkunden durch Shott hatte der Erzbischof von Trier um 975 Güter in Sensweiler erworben, die er an das Paulinstift zu Trier verschenkte. Weiter war das Kloster Fraulautern um 1250 an einem Hof zu Sensweiler beteiligt. 1343 verkaufte Wilhelm von Manderscheid dem Erzbischof Balduin von Trier sein Dorf Sensweiler mit Herrschaften, Gerichten hoch und nieder, Landen, Leuten und Schöffen. Hier scheinen die Gründe für eine weitere dorfeigene Gerichtsstätte zu liegen.
Nun ergibt sich aus der Geschichte des Croppenhofes noch eine weitere und letzte Frage: Warum waren die Freihöfe sponheimisch? Daß sie nicht den Wildgrafen als Landesherren gehören konnten, ist selbstverständlich; ihnen waren sie ein Hindernis in der Gerichtshoheit. Darum ist es auch verständlich, wenn sie auf ihre Beseitigung bedacht waren. Um sich dagegen zu schützen, gaben die Sponheimer 1331 ihre Höfe zu Bruchweiler, Sensweiler und an anderen Orten der Wildgrafschaft de m mächtigen Balduin von Trier als Lehnsherren in die Hände, ließen sich von ihm zurückbelehnen, behielten ihre Höfe, waren aber des Schutzes vor den Wildgrafen sicher. Dazu kommt eine weitere Erscheinung des Wirtschaftslebens im Zeitalter der Leibeigenschaft. Niemand konnte freizügig auswandern. Menschen waren als Arbeits- und Steuerkraft damals ein kostbarer und rarer Handelswert. Wer auszog zahlte dem bisherigen Herrn ein hohes Auszugsgeld, dem neuen ein gleiches Einzugsgeld. Wer "schwarz" über die Grenzen ging, wurde staatenlos, war ein Wildfang. Das Recht, sie "einzufangen", sie also als neue Untertanen zu gewinnen, besaßen in unserer Heimat in einem genau festgelegten Bereich die Sponheimer. Dazu brauchten sie überall in dem buntscheckigen Staatengewirr Höfe. Im Bereich der Wildgrafschaft pochten die Sponheimer auf ihrem Recht mit dem Grundsatz: "Wer aus dem Amt Trier kommt, wird Sponheimer Untertan". Das hat zu vielen Fehden geführt, auf die hier nicht einzugehen ist. Zum Schutz der Wildfänge brauchte man Unterkünfte - und die Asylhöfe mögen recht oft auch diesem Zweck gedient haben. Wir sehen, daß in dem heute fast nicht mehr gebrauchten "Krippchen" eine Fülle von dörflicher und allgemeiner Geschichte steckt. Darum ist es zu bedauern, daß der Name verstümmelt wurde. Wann das bei früheren Kartierungen geschehen ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Aber die Frage ist doch berechtigt, warum denn bei der gewiß notwendigen Flurbereinigung nun auch das alles ausgerottet werden mußte, was einmal von geschichtlicher Bedeutung war. Vom Croppenhof zum Croppischen, dann zum Krippchen und endlich zu den Langwiesen geht ein Weg von Irrtümern. Man könnte das gutmachen, wenn man die einzig richtige Flurbezeichnung wähle: "Am Croppenhof".
Litteratur: Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 1881 - Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, VIII/960 - Grimm, Weistümer II/128 u. 132 - Markgraf, Das moselländische Volk in seinen Weistümern.
Der Croppenhof
ein Bericht von Albert Molz
aus dem Heimatkalender 1961
In der Gemeinde Sensweiler ist mündlich überliefert, daß das Dorf früher drei Höfe hatte: Simonshof, Hubertushof und Jakobshof. Über die beiden letzteren sind bisher keine Urkunden oder andere schriftlichen Aufzeichnungen vorgekommen. Der Simonshof ist seit 1273 mit seinem Namen nachgewiesen, auch 1777 wird er in einer Rechnung des Amtes Wildenburg noch so genannt, hierbei wird auch ein Kulmannshof zu Sensweiler erwähnt, über den aber sonst nichts bekannt ist. Ein weiterer Hof, der geschichtlich belegt ist und an dem wegen seiner eigenartigen Rechtsverhältnisse viel Geschichte haftet, ist im Dorf völlig vergessen. Übrig geblieben ist von ihm ein verstümmelter und nicht verstandener Flurname, der auf den neuen Flurkarten nicht mehr vorkommt, zwar hier und da noch gebraucht wird, dann aber in gänzlich veränderter Form: der Croppenhof. Auf dem Plannblatt 3 der Gemeinde, kartiert 1933, heißt eine Wiesenflur zwischen Steinbachtal und "Hauel" heute "in den Langwiesen". Der Volksmund gebraucht noch mitunter dafür: "im Krippchen". Das hat mit einer Krippe nichts zu tun. In der Bezeichnung steckt der Name des Croppenhofes, sie bedeutet richtig: im Croppischen und soll besagen, daß hier entweder der Croppenhof lag oder daß das Gelände zum Croppenhof gehörte. Daß hier einmal Hofland war, beweisen auch die zwischen Langwiesen und dem Friedhofsweg liegenden Gewannen: "an der Hofgewann" und dahinter: "die Hofgewann". Einen weiteren Beweis, daß das Krippchen ehemals Herrenland war, kann man darin sehen, daß ein Teil der Wiesenflur heute noch Kirchenland ist, das irgendwie bei der Auflösung der Herrenhöfe der Kirche übereignet wurde. Daß der Croppenhof in Sensweiler bestand, ist durch das Wildengurger Weistum aus der Zeit von 1520-1550 bewiesen. Grimm hat es in der Sammlung seiner Weistümer unter der Nummer II/128 aufgenommen, wo der Hof unter diesem Namen genannt wird.
Eigenartig ist seine staatliche Zugehörigkeit. Sensweiler gehörte zum Amt Wildenburg der Wildgrafschaft. Der Croppenhof war aber sponheimischer Besitz. Weitere sponheimische Höfe sind nachgewiesen in Bruchweiler-Schauren, ebenso in Asbach, Kirchweiler und Sulzbach.
Recht groß war auch der Besitz der Sponheimer in Hottenbach und Hellertshausen. Eine Aufstellung vom Jahre 1600 zeigt folgenden sponheimischen Besitz im Amt Wildenburg: Hottenbach 25 Untertanen (Hausstätten) Hellertshausen 7, Schauren 7, Bruchweiler 12, Sensweiler 8, Sulzbach 1, Asbach 12. Sie unterstanden dem Sponheimer Oberamt Kirchberg, waren dorthin grundhörig zinspflichtig; im Gerichtswesen gehörten sie zur Hochgerichtsbarkeit des Wildenburger Amtes, ein recht eigenartiger Zustand. Beim Zerfall der Grafschaft Sponheim kamen die oben genannten Untertanen durch den Staatsvertrag vom Jahre 1707 an die Marktgrafschaft Baden. Sie blieben bei ihr bis zum Ende der Feudalherrschaft. Die Sponheimer Akten (St. Archiv Koblenz Nr. 2896) vom 23.04.1776 verzeichnen an badischen Untertanen: Hottenbach 64 Bauern, Hellertshausen 24, Schauren 2, Bruchweiler 12, Sensweiler 4. An diese Zugehörigkeit erinnert für Sensweiler das Waldstück "Baasbruch", verstümmelt aus "badisch Bruche". Diese letzten vier Bauernstätten ins Sensweiler gehörten also zum sponheimisch-badischen Croppenhof als Gutsuntetanen. Da seit der Auflösung durch die französische Herrschaft (1798) etwas 160 Jahre vergangen sind ist verständlich, daß die Erinnerung an diese zeit verblaßt ist, obwohl es den "badischen Untertanen" im Zeitalter der Leibeigenschaft viel besser erging als den "wildgräflichen"; das Amt Wildenburg war, was Ausbeutung, Lasten und Härte in der Rechtspflege angeht, verrufen. Baden hob freiwillig die Leibeigenschaft auf, die Wildenburger dachten nicht daran; dort war gegen ende des 18. Jahrhunderts die Folter noch in Gebrauch. Die Birkenfelder, ebenfalls badisch geworden, nannten die badische Herrschaft eine Zeit des Segens für das Land.
Für Sensweiler erinnert sich der Verfasser, daß noch um 1900 überliefert war, daß ein kleiner Teil des Dorfes einmal zu Baden gehört habe, dabei wurde mit Bestimmtheit ein Haus genannt, damals Leonhards, heute Bauernhof Weyand. Das ist festzuhalten, um auch die Lage des Croppenhofes etwas zu bestimmen. Das "Krippchen", die Flure "an der Hofgewann" und "die Hofgewann" liegen am Rand dieses Ortsbereiches, wobei man annehmen darf, daß auch die anderen drei Hofstätten von 1776 dort lagen; wo der Haupthof war, wohnten auch die Untertanen. Das ist in kurzen Zügen die Geschichte des Croppenhofes der entgegen den zwei anderen oben genannten Höfen nicht sagenhaft, sondern geschichtlich einwandfrei belegt. ist.
Aber noch interessanter als seine Geschichte ist sein Rechtszustand. Er war ein Asylhof, das heißt ein Freihof, eine Zufluchtsstätte für gerichtlich Verfolgte. Zum Verständnis sei etwas über die Asylhöfe gesagt. Schon die ältesten Zeiten kennen den Begriff der "Blutrache". Bei Totschlag war die Sippe des Getöteten berechtigt, die Untat zu rächen, Schadenersatz zu fordern. Daß dabei Übergriffe und Maßlosigkeit im Rechtsanspruch vorkamen, ist zu verstehen. Und darum finden wir bereits in den Gesetzen des Moses den vorläufigen Schutz des Verfolgten in einer Zufluchtsstätte, dem Asyl. Auch bei den Griechen kannte man diese Einrichtung. Asyl war jeder den Göttern geweihte Ort. Im alten Rom gab es auch das Asyl für Verfolgte, und jede Verletzung des Asylrechtes durch die Verfolger galt als Frevel gegen die Götter. Unter Konstantin d. Gr. ging mit der Einführung des Christentums das Asylrecht auf die Kirchen über, auf Klöster, Hospitälern, später auf Wohnungen der Bischöfe und Geistlichen. Der Flüchtling mußte im Asyl die Waffen ablegen und sich friedlich verhalten, bis seine Sache untersucht und entschieden war. Das Asylrecht ging später auf die staatliche Justiz über. Wir finden es dann im germanischen Volksrecht. Dem Totschlag wurde gleichgerechnet Verletzung des Weibes und Mädchenraub, oft auch versuchter Totschlag oder schwerste Körperverletzung. Als Buße galt auch hier die Blutrache durch die Sippe, später wurde auch an Stelle der tatsächlichen körperlichen Rache das Wergeld eingeführt, eine Zahlung in Vieh oder Geld an die Gemeinde. Um Willkür, Eigenmächtigkeit und Übertreibung der Blutrache, die sich oft endlos durch Geschlechter fortsetzte, zu vemeiden, gab es die Asylhöfe. Ihr Rechtszustand und ihre Gesetze sind uns in zahlreichen Weistümern - das sind aufgezeichnete Rechtsordnungen oder Gesetze - erhalten geblieben. Der Croppenhof war ein solcher Frei- oder Asylhof. In Bruchweiler-Schauren gab es deren vier, auch in Asbach, Kirschweiler und Sulzbach waren Freihöfe. Der Asylhof zu Mörschied führte als Zeichen des Schutzes für den Verfolgten über der Pforte den Adler, als Zeichen der Versorgung eine Brezel (Brot).
Das obengenannte Wildenburger Weistum (Grimm II/128) berichtet zum Sensweiler Freihof: "Fragt der Richter, ob etliche Güter frei sein? Antwortet der Schöffe und weist nit mehre, dann ein hoffgut, Croppenhoff, und ob ein mißtätiger darin lief, soll er der Freiheit genießen, will der Hofmann ihn richten, soll er einen Galgen über die Pforte machen und soll ihn lassen richten mit dem Bauch zur Pforte und mit dem Rücken nach außen. Wo einem Hofmann das zu schwer dünkt, soll er ihn mit dem rechten Gehren nehmen und vor die Pforten liefern auf der Herren Gericht in der Herren Hand."
Zu diesen etwas sonderbaren Ausführungen sei erklärt: Die Gerichtsbarkeit über alle Rechtsfälle, auch über Leib und Leben, lag im Amt Wildenburg in den Händen des Landesherrn, der Wildgrafen, ausgeübt durch die Amtsmänner. Gerichtsstätte und Galgen waren am "Urteilsstock" in der Nähe der Wildenburg. Im Asylhof dagegen hatte der Hofherr die Gerichtsbarkeit. Das mußte vom Landesherrn als eine Einschränkung seiner Rechte empfunden werden, die Asylhöfe waren ihm im Wege, waren unbequem. Bei jeder Gerichtsverhandlung wurde darum ausdrücklich vom Richter (das konnte der Amtmann sein) die Zuständigkeit geprüft: der Schöffe bestätigt, daß in Sensweiler nur ein Hof Asylrecht habe und damit das immer deutlich blieb, sagt das Weistum an anderer Stelle: Zu Sensweiler haben unsere gnädigen Herren Gebot und Verbot, hoch und nieder zu richten und sonst kein anderer. Das sind die Wildgrafen, damit nicht etwa weitere Höfe sich das Asylrecht anmaßten. Das hatte seinen Sinn: dem Richter, d. h. dem Inhaber der Gerichtsbarkeit, gehörte neben den Geldbußen auch das ihm verfallende Vermögen des Gerichteten! Der Asylhof mußte geduldet werden. Der Missetäter war im Asylhof vor den Verfolgern zunächst geschützt. Ihm war Gelegenheit gegeben, sich zu verantworten, seine Sache wurde untersucht. Über die Dauer des Aufenthaltes im Freihof sagen andere Weistümer, wie die von Bruchweiler und Schauren (II/138), ebenso Markgraf, "Das moselländische Volk in seinen Weistümern": Das Asylrecht dauerte in der Regel 45 Tage. Dann mußte entweder ein Urteil gefällt sein oder der Verfolgte mußte versuchen, aus dem Freihof zu entkommen. Die Verfolger haben selbstverständlich draußen aufgepaßt, daß er ihnen in diesem Falle nicht entging. Nach andern Weistümern konnte der Aufenthalt auch dadurch verlängert werden, daß es dem Flüchtling gelang, seine beiden Füße drei Schritte auf dem Boden außerhalb des Hofes zu setzen, wodurch sich die Gnadenfrist um weitere 45 Tage verlängerte. Dazu mag es selten gekommen sein.
Dem Hoffmann war es vielmehr darum zu tun, den Fall möglichst bald zu erledigen. Wollte er selbst richten, dann hatte er nach dem Weistum den Übeltäter in der angegebene Weise am Hoftor aufzuhängen. Das mag unangenehm gewesen sein. Das römische Recht erleichterte dem Hofmann sein Amt, indem es verordnete, daß der Verbrecher auch, wie im Sensweiler Weistum angegeben, an der Herren Gericht ausgeliefert werden konnte. Das waren für Sensweiler die Wildenburger Amtleute. Recht anschaulich ist auch die Form, wie diese Auslieferung vor sich gehen sollte: der Missetäter wird am rechten "Gehren" gefaßt und vor die Pforte gebracht. Das ist der rechte Rockschoß. Im Volksmund hat sich hierfür der Ausdruck erhalten: einen unangenehmen oder lästig werdenden Kerl "holt man am Bennel" und schleift ihn vor die Tür.
Zusammenfassend kann über das Asylrecht gesagt werden: Es hat sich aus der Blutrache entwickelt und ist gegen diese gerichtet. Zugunsten leichterer Vergehen soll verhindert werden, daß der Verfolgte voreilig an den Verfolger ausgeliefert wird. Der Galgen über der Tür soll dem Hofmann das Selbstrichten verleiden. Durch die Möglichkeit der Auslieferung konnte man die peinliche Gerichtsbarkeit (die Hinrichtung) von einem Hof dem andern zuschieben. Darum sah man es auch gern, wenn der Verfolgte aus dem Asylhof entfloh. Die Auslieferung hatte weiter den Sinn, daß der gemeine Verbrecher im Asylhof keinen unverdienten langen Aufschub haben sollte. Das Weistum gibt für Sensweiler nur noch ein ungelöstes Rätsel auf: das Dorf hat einen Galgenhügel. Es wäre also daran zu denken, dort die Hinrichtungsstätte zu suchen. Er liegt aber vom Croppenhof ziemlich entfernt am entgegengesetzten Ende des Ortes. Dort hatte der Asylherr keinerlei Recht zu richten. Die Weistümer nennen ausdrücklich den Galgen über der Pforte. Der Zweck dieser Forderung ist bereits dargestellt. Woher dann eine zweite Gagenstätte am Dorf? Für das ganze Amt Wildenburg war sie bei Kempfeld. Es gibt eine andere mögliche Erklärung. Sensweiler hat nicht immer zum wildgräflichen Amt gehört. Nach den Abschriften von Urkunden durch Shott hatte der Erzbischof von Trier um 975 Güter in Sensweiler erworben, die er an das Paulinstift zu Trier verschenkte. Weiter war das Kloster Fraulautern um 1250 an einem Hof zu Sensweiler beteiligt. 1343 verkaufte Wilhelm von Manderscheid dem Erzbischof Balduin von Trier sein Dorf Sensweiler mit Herrschaften, Gerichten hoch und nieder, Landen, Leuten und Schöffen. Hier scheinen die Gründe für eine weitere dorfeigene Gerichtsstätte zu liegen.
Nun ergibt sich aus der Geschichte des Croppenhofes noch eine weitere und letzte Frage: Warum waren die Freihöfe sponheimisch? Daß sie nicht den Wildgrafen als Landesherren gehören konnten, ist selbstverständlich; ihnen waren sie ein Hindernis in der Gerichtshoheit. Darum ist es auch verständlich, wenn sie auf ihre Beseitigung bedacht waren. Um sich dagegen zu schützen, gaben die Sponheimer 1331 ihre Höfe zu Bruchweiler, Sensweiler und an anderen Orten der Wildgrafschaft de m mächtigen Balduin von Trier als Lehnsherren in die Hände, ließen sich von ihm zurückbelehnen, behielten ihre Höfe, waren aber des Schutzes vor den Wildgrafen sicher. Dazu kommt eine weitere Erscheinung des Wirtschaftslebens im Zeitalter der Leibeigenschaft. Niemand konnte freizügig auswandern. Menschen waren als Arbeits- und Steuerkraft damals ein kostbarer und rarer Handelswert. Wer auszog zahlte dem bisherigen Herrn ein hohes Auszugsgeld, dem neuen ein gleiches Einzugsgeld. Wer "schwarz" über die Grenzen ging, wurde staatenlos, war ein Wildfang. Das Recht, sie "einzufangen", sie also als neue Untertanen zu gewinnen, besaßen in unserer Heimat in einem genau festgelegten Bereich die Sponheimer. Dazu brauchten sie überall in dem buntscheckigen Staatengewirr Höfe. Im Bereich der Wildgrafschaft pochten die Sponheimer auf ihrem Recht mit dem Grundsatz: "Wer aus dem Amt Trier kommt, wird Sponheimer Untertan". Das hat zu vielen Fehden geführt, auf die hier nicht einzugehen ist. Zum Schutz der Wildfänge brauchte man Unterkünfte - und die Asylhöfe mögen recht oft auch diesem Zweck gedient haben. Wir sehen, daß in dem heute fast nicht mehr gebrauchten "Krippchen" eine Fülle von dörflicher und allgemeiner Geschichte steckt. Darum ist es zu bedauern, daß der Name verstümmelt wurde. Wann das bei früheren Kartierungen geschehen ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Aber die Frage ist doch berechtigt, warum denn bei der gewiß notwendigen Flurbereinigung nun auch das alles ausgerottet werden mußte, was einmal von geschichtlicher Bedeutung war. Vom Croppenhof zum Croppischen, dann zum Krippchen und endlich zu den Langwiesen geht ein Weg von Irrtümern. Man könnte das gutmachen, wenn man die einzig richtige Flurbezeichnung wähle: "Am Croppenhof".
Litteratur: Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 1881 - Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, VIII/960 - Grimm, Weistümer II/128 u. 132 - Markgraf, Das moselländische Volk in seinen Weistümern.